Mein Produkt war stets bemüht…
In unserer heutigen Zeit sollen negative Äußerungen bestmöglich vermieden werden. Auch im Internet darf Produktkritik nur noch freundlich verpackt daherkommen.
Sicherlich kennt sie noch der ein oder andere ehemalige Schulrabauke: passiv-aggressive Zeugnisbeschönigungen. Was heutzutage in der Arbeitswelt zum Standard gehört und Fluch der Personalabteilung ist, konnte schon nach der fünften Klasse so manch junge Karriere im Keim ersticken. »Hans-Dieter war in der Regel bemüht, seine Hausaufgaben pünktlich abzuliefern« oder »Sabine war für Lerninhalte, die sie interessierten, offen«. Im, naja, Klartext: Kind XY zeigte bemerkenswerte Fortschritte, den Stift mit der Spitze nach unten zu halten.
Natürlich ist dieses Herumgerede um den heißen Brei nur im Sinne der lieben Kleinen. In welchem Sinne hingegen ein US-Gerichtsurteil ist, das vorschreibt, dass auch Kundenbewertungen im Internet nur noch positiv ausfallen dürfen, bleibt noch offen. Unternehmen könnten bald Klauseln in ihren AGBs unterbringen, die es den Kunden infolge untersagen, sich bei Unzufriedenheit online zu beschweren. Ist ja sowieso meist üble Nachrede. Zwar steht die offizielle Anerkennung des Urteils noch aus, die freie Meinungsäußerung liegt aber schon jetzt mit Heulkrämpfen am Boden.
Aber was solls. Gerade der findige und meckererprobte Deutsche kann Kritik mit etwas Fingerspitzengefühl und Zeugniserfahrung selbst durch ein Meer aus Blumen sprechen: »Smartphone geht nur mit gut zureden an. Toll, endlich komme ich wieder mehr zum lesen«, »Ich finde es schön, wie die vermeintliche Plug-and-Play-Einrichtung der neuen NAS meine nicht vorhandenen Administrationsfähigkeiten voranbringt« oder eben in guter alter Zeugnismanier: »Mein Notebook war stets bemüht, die ihm aufgetragenen Arbeiten auszuführen und konnte zumeist durch Anwesenheit überzeugen.«
Zu hinterfragen gilt nur, was die negative Kritik im Internet von der Reklamation an der Kasse unterscheidet. Oder können wir Ware im Geschäft zukünftig nur umtauschen, weil wir doch ein bisschen zu sehr mit ihr zufrieden waren? Eine schöne neue Online-Welt, oder wie Aldous Huxley schrieb: »Die größten Triumphe der Propaganda wurden nicht durch Handeln, sondern durch Unterlassung erreicht«. Vielleicht unterlässt der Kunde bei solchen meisterlichen Ideen doch am Ende eher den Kauf als die Kritik.